{"id":1749,"date":"2017-12-25T15:05:45","date_gmt":"2017-12-25T14:05:45","guid":{"rendered":"https:\/\/143bis.ch\/?p=1749"},"modified":"2021-04-04T10:34:18","modified_gmt":"2021-04-04T08:34:18","slug":"hacken-wenn-man-das-passwort-kennt-zu-bger-6b_615-2014-vom-02-12-2014","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/143bis.ch\/recht\/hacken-wenn-man-das-passwort-kennt-zu-bger-6b_615-2014-vom-02-12-2014\/","title":{"rendered":"Hacken, wenn man das Pass\u00adwort kennt? Zu BGer 6B_615<\/span>\/2014 vom 02.12.2014"},"content":{"rendered":"

Das Bun\u00addes\u00adge\u00adricht hat mit dem Urteil 6B_615<\/span>\/2014<\/a> vom 02.12.2014 die Nicht\u00adan\u00adhand\u00adnah\u00adme\u00adver\u00adf\u00fc\u00adgung einer Staats\u00adan\u00adwalt\u00adschaft gesch\u00fctzt. Ein Beschul\u00addig\u00adter wurde wegen Wider\u00adhand\u00adlung gegen das Fern\u00admel\u00adde\u00adge\u00adsetz, Ver\u00adlet\u00adzung des Schrift\u00adge\u00adheim\u00adnis\u00adses, unbe\u00adfug\u00adten Ein\u00addrin\u00adgens in ein Daten\u00adver\u00adar\u00adbei\u00adtungs\u00adsys\u00adtem sowie Haus\u00adfrie\u00addens\u00adbruchs ange\u00adzeigt und die Staats\u00adan\u00adwalt\u00adschaft ent\u00adschied, dass die frag\u00adli\u00adchen Straf\u00adtat\u00adbe\u00adst\u00e4nde ein\u00addeu\u00adtig nicht erf\u00fcllt seien.<\/p>\n

Nicht\u00adan\u00adhand\u00adnah\u00adme\u00adver\u00adf\u00fc\u00adgun\u00adgen sind nur dann zul\u00e4s\u00adsig, wenn bei\u00adspiels\u00adweise rein zivil\u00adrecht\u00adli\u00adche Strei\u00adtig\u00adkei\u00adten vor\u00adlie\u00adgen oder der Sach\u00adver\u00adhalt tat\u00ads\u00e4ch\u00adlich und recht\u00adlich liquide ist. Der Sach\u00adver\u00adhalt darf unter kei\u00adnen Straf\u00adtat\u00adbe\u00adstand fal\u00adlen; im Zwei\u00adfels\u00adfall ist eine Unter\u00adsu\u00adchung zu er\u00f6ffnen.<\/p>\n

Im kon\u00adkre\u00adten Fall ver\u00adf\u00fcgte die beschul\u00addigte Per\u00adson \u00fcber Zugangs\u00adda\u00adten des Anzei\u00adge\u00adstel\u00adlers, genauer, \u00fcber seine Email\u00adadresse bei Gmail und ein Pass\u00adwort, wobei die beschul\u00addigte Per\u00adson wusste, dass sich diese Kom\u00adbi\u00adna\u00adtion von Zugangs\u00adda\u00adten f\u00fcr den Goo\u00adg\u00adle\u00addienst \u201cGoogle Ana\u00adly\u00adtics\u201d benut\u00adzen liess. Die Beschul\u00addigte habe sich mit die\u00adsen Zugangs\u00adda\u00adten nun nicht nur bei Google Ana\u00adly\u00adtics ein\u00adge\u00adloggt, son\u00addern viel\u00admehr auch bei Gmail. Dadurch habe die Beschul\u00addigte Zugriff auf Emails erhal\u00adten, die sie dann gegen den Anzei\u00adge\u00adstel\u00adler in einem Straf\u00adpro\u00adzess wegen Ehr\u00adver\u00adlet\u00adzungs\u00adde\u00adlik\u00adten verwendete.<\/p>\n

Dis\u00adku\u00adtiert wurde vom Bun\u00addes\u00adge\u00adricht unter ande\u00adrem, ob das Ein\u00adlog\u00adgen in eine Mail\u00adbox mit einem Pass\u00adwort unter StGB 179 f\u00e4llt, also, ob eine Ver\u00adlet\u00adzung des Schrift\u00adge\u00adheim\u00adnis\u00adses vor\u00adliegt. Es ver\u00adneint dies nach sehr kur\u00adzer Begr\u00fcn\u00addung, die aus\u00adschliess\u00adlich aus Hin\u00adwei\u00adsen auf die sei\u00adnes Erach\u00adtens bestehen\u00adden herr\u00adschen\u00adden Lehr\u00admei\u00adnun\u00adgen bestand. Es f\u00fchrt zus\u00e4tz\u00adlich aus, dass nach gewis\u00adsen Lehr\u00admei\u00adnun\u00adgen mit einem blos\u00adsen Pass\u00adwort kein \u201cVer\u00adschluss\u201d im Sinne von StGB 179 vor\u00adliege und beim Ver\u00adsand eines Emails im Klar\u00adtext keine ver\u00adschlos\u00adsene Sen\u00addung vor\u00adlie\u00adgen k\u00f6nne.<\/p>\n

Bei bei\u00addem habe ich erheb\u00adli\u00adche Zwei\u00adfel: Ein Pass\u00adwort kann ohne Wei\u00adte\u00adres als Ver\u00adschluss betrach\u00adtet wer\u00adden. Nimmt man Bezug auf das OSI-Modell, kann man im Cou\u00advert eines Briefs zwang\u00adlos eine Pro\u00adto\u00adkoll\u00adschicht anneh\u00admen, die den Inhalt quasi durch den P\u00f6st\u00adler (=Rou\u00adter oder Switch) vom Absen\u00adder zum Emp\u00adf\u00e4n\u00adger trans\u00adpor\u00adtiert. Ein Email ist f\u00fcr Nor\u00admal\u00adsterb\u00adli\u00adche nicht ein\u00adseh\u00adbar, solange es im Inter\u00adnet unter\u00adwegs ist. Es ver\u00adh\u00e4lt sich hier nicht anders, als bei ana\u00adlo\u00adgen Postsendungen.<\/p>\n

Vor Bun\u00addes\u00adge\u00adricht brachte der Beschwer\u00adde\u00adf\u00fch\u00adrer (der sei\u00adner\u00adzei\u00adtige Anzei\u00adge\u00adstel\u00adler) lei\u00adder nichts in Bezug auf die Straf\u00adbar\u00adkeit nach StGB 143bis<\/sup> mehr vor (vgl. Erw\u00e4\u00adgung 6), womit es f\u00fcr das Bun\u00addes\u00adge\u00adricht sein Bewen\u00adden hatte. In einer Abgren\u00adzung von FMG<\/span> 50 zu StGB 143bis<\/sup> f\u00fchrt es aber aus:<\/p>\n

4.3.<\/strong> Der vom Beschwer\u00adde\u00adf\u00fch\u00adrer bean\u00adstan\u00addete Zugriff auf das E\u2011Mail-Konto wird im schwei\u00adze\u00adri\u00adschen Recht als Ein\u00addrin\u00adgen in ein Daten\u00adver\u00adar\u00adbei\u00adtungs\u00adsys\u00adtem im Sinne von Art. 143bis StGB geahn\u00addet (von Ins\/Wyder, in: Bas\u00adler Kom\u00admen\u00adtar, Straf\u00adrecht II<\/span>, 2. Aufl. 2013, N. 27 zu Art. 179 StGB; Chris\u00adtian Schwar\u00adzen\u00adeg\u00adger, Die inter\u00adna\u00adtio\u00adnale Har\u00admo\u00adni\u00adsie\u00adrung des Com\u00adpu\u00adter- und Inter\u00adnet\u00adstraf\u00adrechts durch die Con\u00adven\u00adtion on Cyber\u00adcrime vom 23. Novem\u00adber 2001, am Bei\u00adspiel des Hackings, der unrecht\u00adm\u00e4s\u00adsi\u00adgen Daten\u00adbe\u00adschaf\u00adfung und der Ver\u00adlet\u00adzung des Fern\u00admel\u00adde\u00adge\u00adheim\u00adnis\u00adses, in: Straf\u00adrecht, Straf\u00adpro\u00adzess\u00adrecht und Men\u00adschen\u00adrechte, Fest\u00adschrift f\u00fcr Ste\u00adfan Trech\u00adsel zum 65. Geburts\u00adtag, 2002, S. 322; Gil\u00adles Mon\u00adnier, Du cour\u00adrier au cour\u00adriel, in: 300 ans d\u2019ens\u00adeig\u00adne\u00adment du droit \u00e0 Lau\u00adsanne, 2010, S. 196 ff.; siehe auch Urteil 6B_456<\/span>\/2007 vom 18. M\u00e4rz 2008 E. 4).<\/p>\n

Den Tat\u00adbe\u00adstand von Art. 143bis Abs. 1 StGB erf\u00fcllt, wer auf dem Wege von Daten\u00ad\u00fcber\u00adtra\u00adgungs\u00adein\u00adrich\u00adtun\u00adgen unbe\u00adfug\u00adter\u00adweise in ein frem\u00addes, gegen sei\u00adnen Zugriff beson\u00adders gesi\u00adcher\u00adtes Daten\u00adver\u00adar\u00adbei\u00adtungs\u00adsys\u00adtem ein\u00addringt. Die Tat ist ein Antrags\u00adde\u00adlikt. Straf\u00adan\u00adtrag stel\u00adlen kann, wer berech\u00adtigt ist, \u00fcber den Zugang zur Anlage und damit zu den dort gespei\u00adcher\u00adten Daten zu bestim\u00admen. Dies ist beim unbe\u00adfug\u00adten Zugriff auf ein mit einem Pass\u00adwort gesch\u00fctz\u00adtes E\u2011Mail-Konto in einem Daten\u00adver\u00adar\u00adbei\u00adtungs\u00adsys\u00adtem auch des\u00adsen Inha\u00adber (Urteil 6B_456<\/span>\/2007 vom 18. M\u00e4rz 2008 E. 4). Der Gesetz\u00adge\u00adber machte die Straf\u00adbar\u00adkeit nach Art. 143bis Abs. 1 StGB bewusst davon abh\u00e4n\u00adgig, ob eine Zugangs\u00adsi\u00adche\u00adrung \u00fcber\u00adwun\u00adden wer\u00adden muss (vgl. Bot\u00adschaft vom 18. Juni 2010 \u00fcber die Geneh\u00admi\u00adgung und die Umset\u00adzung des \u00dcber\u00adein\u00adkom\u00admens des Euro\u00adpa\u00adra\u00adtes \u00fcber die Cyber\u00adkri\u00admi\u00adna\u00adli\u00adt\u00e4t, BBl 2010 4703 sowie den Vor\u00adbe\u00adhalt der Schweiz zu Art. 2 des \u00dcber\u00adein\u00adkom\u00admens vom 23. Novem\u00adber 2001 \u00fcber die Cyber\u00adkri\u00admi\u00adna\u00adli\u00adt\u00e4t, SR<\/span> 0.311.43).<\/p><\/blockquote>\n

Das Bun\u00addes\u00adge\u00adricht erach\u00adtet also das Benut\u00adzen von Email\u00adadresse und Pass\u00adwort auf dem Gmail-Konto als tat\u00adbe\u00adstands\u00adm\u00e4s\u00adsig nach StGB 143bis<\/sup>. Die Nicht\u00adan\u00adhand\u00adnah\u00adme\u00adver\u00adf\u00fc\u00adgung hob es aber man\u00adgels ein\u00adschl\u00e4\u00adgi\u00adger Vor\u00adbrin\u00adgen des Beschwer\u00adde\u00adf\u00fch\u00adrers nicht auf.<\/p>\n

Ich bin mir nicht sicher, ob eine Ver\u00adur\u00adtei\u00adlung nach StGB 143bis<\/sup> am Ende wirk\u00adlich rich\u00adtig gewe\u00adsen w\u00e4re. Schliess\u00adlich stellt StGB 143bis<\/sup> das unbe\u00adfugte Ein\u00addrin\u00adgen in ein frem\u00addes Sys\u00adtem unter Strafe, das vor die\u00adsem unbe\u00adfug\u00adten Zugriff beson\u00adders gesi\u00adchert<\/em> ist.<\/p>\n

Wenn sich die beschul\u00addigte Per\u00adson auf dem Gmail-Account ein\u00adloggt und neben den Google Ana\u00adly\u00adtics-Diens\u00adten auch auf die Mail\u00adbox zugrei\u00adfen kann, dann befin\u00addet sich die beschul\u00addigte Per\u00adson bereits im Sys\u00adtem, hat aber auf die\u00adses Sys\u00adtem nicht unbe\u00adfugt zuge\u00adgrif\u00adfen. F\u00fcr die Google Ana\u00adly\u00adtics-Dienste und die Mail\u00adbox hat es offen\u00adbar keine unter\u00adschied\u00adli\u00adche Zugriffs\u00adsi\u00adche\u00adrun\u00adgen gege\u00adben. Ein\u00admal ein\u00adge\u00adloggt, konnte die beschul\u00addigte Per\u00adson ohne Wei\u00adte\u00adres auch auf die Mail\u00adbox zugrei\u00adfen. Im End\u00adef\u00adfekt hat die beschul\u00addigte Per\u00adson klar ihre Kom\u00adpe\u00adten\u00adzen und die zwi\u00adschen den Par\u00adteien gel\u00adtende Abma\u00adchung \u00fcber\u00adschrit\u00adten; sie durfte ja eigent\u00adlich nur die Google Ana\u00adly\u00adtics-Dienste benut\u00adzen. Eine straf\u00adrecht\u00adli\u00adche Erfas\u00adsung die\u00adses Ver\u00adhal\u00adtens unter dem Titel von StGB 143bis<\/sup> erscheint mir aber nicht gesetzeskonform.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Das Bun\u00addes\u00adge\u00adricht hat mit dem Urteil 6B_615<\/span>\/2014 vom 02.12.2014 die Nicht\u00adan\u00adhand\u00adnah\u00adme\u00adver\u00adf\u00fc\u00adgung einer Staats\u00adan\u00adwalt\u00adschaft gesch\u00fctzt. Ein Beschul\u00addig\u00adter wurde wegen Wider\u00adhand\u00adlung gegen das Fern\u00admel\u00adde\u00adge\u00adsetz, Ver\u00adlet\u00adzung des Schrift\u00adge\u00adheim\u00adnis\u00adses, unbe\u00adfug\u00adten Ein\u00addrin\u00adgens in ein Daten\u00adver\u00adar\u00adbei\u00adtungs\u00adsys\u00adtem sowie Haus\u00adfrie\u00addens\u00adbruchs ange\u00adzeigt und die Staats\u00adan\u00adwalt\u00adschaft ent\u00adschied, dass die frag\u00adli\u00adchen Straf\u00adtat\u00adbe\u00adst\u00e4nde ein\u00addeu\u00adtig nicht erf\u00fcllt seien. 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