Das Bun­des­ge­richt hat mit dem Urteil 6B_615/2014 vom 02.12.2014 die Nicht­an­hand­nah­me­ver­fü­gung einer Staats­an­walt­schaft geschützt. Ein Beschul­dig­ter wurde wegen Wider­hand­lung gegen das Fern­mel­de­ge­setz, Ver­let­zung des Schrift­ge­heim­nis­ses, unbe­fug­ten Ein­drin­gens in ein Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem sowie Haus­frie­dens­bruchs ange­zeigt und die Staats­an­walt­schaft ent­schied, dass die frag­li­chen Straf­tat­be­stände ein­deu­tig nicht erfüllt seien.

Nicht­an­hand­nah­me­ver­fü­gun­gen sind nur dann zuläs­sig, wenn bei­spiels­weise rein zivil­recht­li­che Strei­tig­kei­ten vor­lie­gen oder der Sach­ver­halt tat­säch­lich und recht­lich liquide ist. Der Sach­ver­halt darf unter kei­nen Straf­tat­be­stand fal­len; im Zwei­fels­fall ist eine Unter­su­chung zu eröffnen.

Im kon­kre­ten Fall ver­fügte die beschul­digte Per­son über Zugangs­da­ten des Anzei­ge­stel­lers, genauer, über seine Email­adresse bei Gmail und ein Pass­wort, wobei die beschul­digte Per­son wusste, dass sich diese Kom­bi­na­tion von Zugangs­da­ten für den Goo­g­le­dienst “Google Ana­ly­tics” benut­zen liess. Die Beschul­digte habe sich mit die­sen Zugangs­da­ten nun nicht nur bei Google Ana­ly­tics ein­ge­loggt, son­dern viel­mehr auch bei Gmail. Dadurch habe die Beschul­digte Zugriff auf Emails erhal­ten, die sie dann gegen den Anzei­ge­stel­ler in einem Straf­pro­zess wegen Ehr­ver­let­zungs­de­lik­ten verwendete.

Dis­ku­tiert wurde vom Bun­des­ge­richt unter ande­rem, ob das Ein­log­gen in eine Mail­box mit einem Pass­wort unter StGB 179 fällt, also, ob eine Ver­let­zung des Schrift­ge­heim­nis­ses vor­liegt. Es ver­neint dies nach sehr kur­zer Begrün­dung, die aus­schliess­lich aus Hin­wei­sen auf die sei­nes Erach­tens bestehen­den herr­schen­den Lehr­mei­nun­gen bestand. Es führt zusätz­lich aus, dass nach gewis­sen Lehr­mei­nun­gen mit einem blos­sen Pass­wort kein “Ver­schluss” im Sinne von StGB 179 vor­liege und beim Ver­sand eines Emails im Klar­text keine ver­schlos­sene Sen­dung vor­lie­gen könne.

Bei bei­dem habe ich erheb­li­che Zwei­fel: Ein Pass­wort kann ohne Wei­te­res als Ver­schluss betrach­tet wer­den. Nimmt man Bezug auf das OSI-Modell, kann man im Cou­vert eines Briefs zwang­los eine Pro­to­koll­schicht anneh­men, die den Inhalt quasi durch den Pöst­ler (=Rou­ter oder Switch) vom Absen­der zum Emp­fän­ger trans­por­tiert. Ein Email ist für Nor­mal­sterb­li­che nicht ein­seh­bar, solange es im Inter­net unter­wegs ist. Es ver­hält sich hier nicht anders, als bei ana­lo­gen Postsendungen.

Vor Bun­des­ge­richt brachte der Beschwer­de­füh­rer (der sei­ner­zei­tige Anzei­ge­stel­ler) lei­der nichts in Bezug auf die Straf­bar­keit nach StGB 143bis mehr vor (vgl. Erwä­gung 6), womit es für das Bun­des­ge­richt sein Bewen­den hatte. In einer Abgren­zung von FMG 50 zu StGB 143bis führt es aber aus:

4.3. Der vom Beschwer­de­füh­rer bean­stan­dete Zugriff auf das E‑Mail-Konto wird im schwei­ze­ri­schen Recht als Ein­drin­gen in ein Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem im Sinne von Art. 143bis StGB geahn­det (von Ins/Wyder, in: Bas­ler Kom­men­tar, Straf­recht II, 2. Aufl. 2013, N. 27 zu Art. 179 StGB; Chris­tian Schwar­zen­eg­ger, Die inter­na­tio­nale Har­mo­ni­sie­rung des Com­pu­ter- und Inter­net­straf­rechts durch die Con­ven­tion on Cyber­crime vom 23. Novem­ber 2001, am Bei­spiel des Hackings, der unrecht­mäs­si­gen Daten­be­schaf­fung und der Ver­let­zung des Fern­mel­de­ge­heim­nis­ses, in: Straf­recht, Straf­pro­zess­recht und Men­schen­rechte, Fest­schrift für Ste­fan Trech­sel zum 65. Geburts­tag, 2002, S. 322; Gil­les Mon­nier, Du cour­rier au cour­riel, in: 300 ans d’ens­eig­ne­ment du droit à Lau­sanne, 2010, S. 196 ff.; siehe auch Urteil 6B_456/2007 vom 18. März 2008 E. 4).

Den Tat­be­stand von Art. 143bis Abs. 1 StGB erfüllt, wer auf dem Wege von Daten­über­tra­gungs­ein­rich­tun­gen unbe­fug­ter­weise in ein frem­des, gegen sei­nen Zugriff beson­ders gesi­cher­tes Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem ein­dringt. Die Tat ist ein Antrags­de­likt. Straf­an­trag stel­len kann, wer berech­tigt ist, über den Zugang zur Anlage und damit zu den dort gespei­cher­ten Daten zu bestim­men. Dies ist beim unbe­fug­ten Zugriff auf ein mit einem Pass­wort geschütz­tes E‑Mail-Konto in einem Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem auch des­sen Inha­ber (Urteil 6B_456/2007 vom 18. März 2008 E. 4). Der Gesetz­ge­ber machte die Straf­bar­keit nach Art. 143bis Abs. 1 StGB bewusst davon abhän­gig, ob eine Zugangs­si­che­rung über­wun­den wer­den muss (vgl. Bot­schaft vom 18. Juni 2010 über die Geneh­mi­gung und die Umset­zung des Über­ein­kom­mens des Euro­pa­ra­tes über die Cyber­kri­mi­na­li­tät, BBl 2010 4703 sowie den Vor­be­halt der Schweiz zu Art. 2 des Über­ein­kom­mens vom 23. Novem­ber 2001 über die Cyber­kri­mi­na­li­tät, SR 0.311.43).

Das Bun­des­ge­richt erach­tet also das Benut­zen von Email­adresse und Pass­wort auf dem Gmail-Konto als tat­be­stands­mäs­sig nach StGB 143bis. Die Nicht­an­hand­nah­me­ver­fü­gung hob es aber man­gels ein­schlä­gi­ger Vor­brin­gen des Beschwer­de­füh­rers nicht auf.

Ich bin mir nicht sicher, ob eine Ver­ur­tei­lung nach StGB 143bis am Ende wirk­lich rich­tig gewe­sen wäre. Schliess­lich stellt StGB 143bis das unbe­fugte Ein­drin­gen in ein frem­des Sys­tem unter Strafe, das vor die­sem unbe­fug­ten Zugriff beson­ders gesi­chert ist.

Wenn sich die beschul­digte Per­son auf dem Gmail-Account ein­loggt und neben den Google Ana­ly­tics-Diens­ten auch auf die Mail­box zugrei­fen kann, dann befin­det sich die beschul­digte Per­son bereits im Sys­tem, hat aber auf die­ses Sys­tem nicht unbe­fugt zuge­grif­fen. Für die Google Ana­ly­tics-Dienste und die Mail­box hat es offen­bar keine unter­schied­li­che Zugriffs­si­che­run­gen gege­ben. Ein­mal ein­ge­loggt, konnte die beschul­digte Per­son ohne Wei­te­res auch auf die Mail­box zugrei­fen. Im End­ef­fekt hat die beschul­digte Per­son klar ihre Kom­pe­ten­zen und die zwi­schen den Par­teien gel­tende Abma­chung über­schrit­ten; sie durfte ja eigent­lich nur die Google Ana­ly­tics-Dienste benut­zen. Eine straf­recht­li­che Erfas­sung die­ses Ver­hal­tens unter dem Titel von StGB 143bis erscheint mir aber nicht gesetzeskonform.