Im Urteil 6B_623/2019 vom 5. Februar 2020 hat sich das Bundesgericht mit digitaler Forensik und Hashwerten auseinandersetzen müssen.
Hashwerte sind Prüfsummen für Datensätze. Mit ihnen kann man die Integrität eines Datensatzes überprüfen, also darauf prüfen, ob die Daten auf irgendeine Art verändert wurden. Mit Hashwerten lassen sich Dateien auch identifizieren.
Auf genau diese Identifikationsfunktion greifen die Strafverfolgungsbehörden zurück, um beispielsweise verbotene Pornografie zu bekämpfen. Die verbotene Datei kann dabei irgendeinen erfundenen Namen haben; auf den Dateinamen kommt es nicht an. Es kommt einzig auf den Inhalt an, einzig der Inhalt macht den Hashwert aus. Und genau das kann gefährlich werden: Wenn man im File-Share-Programm nach Stichwörtern sucht, erhält man zwar eine Datei, welche die Stichwörter im Namen trägt, Rückschlüsse auf den Inhalt lassen sich aber nicht garantieren. Suchen Sie nach einer TV-Serie oder einem Musikstück kann es passieren, dass Sie versehentlich verbotene Pornografie herunterladen.
Weltweit suchen Strafverfolgungsbehörden auf der Basis von Hashwert-Datenbanken nach verbotenen Dateien (verbotene Pornografie, verbotene Angriffssoftware etc.). Private Ermittler versuchen mit ähnlichen Methoden Urheberrechtsverletzungen zu entdecken, abzumahnen und anzuzeigen. In beiden Fällen wird dabei im Wesentlichen ein Stück Software eingesetzt, welches das Protokoll des Sharing-Netzwerks umsetzt und deren Sprache spricht.
Verfügt das Sharing-Netzwerk z.B. über Open Source Clients, die die Benutzer einsetzen können, wird einfach der Quellcode kopiert und auf die Bedürfnisse der Ermittler zugeschnitten. Welcher Code dann am Ende effektiv zur Ermittlung eingesetzt wird, bleibt für die Öffentlichkeit (und damit auch für die Gerichte!) im Dunkeln. In aller Regel wird die Ermittlungssoftware nicht von staatlichen Stellen überprüft und zertifiziert. Zumindest ist davon nichts bekannt. Wie also effektiv diese Sharing-Netzwerke auf illegale Inhalte überprüft werden, wie das Logging vor sich geht, wer sich für die eigentliche Ermittlungsarbeit verantwortlich zeichnet etc. pp., bleibt sehr häufig unbekannt.
Ab und an hört man das Argument, wären Informationen zum Vorgehen der Ermittler öffentlich, wäre die Ermittlungsarbeit gefährdet. Man wolle aus “ermittlungstaktischen Gründen” nichts Näheres offenlegen. Das ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, am Ende aber nicht stichhaltig: Das Gros (meine eigene Erfahrung + etwas Mutmassen: 98%) der Täter sind gewöhnliche Computeruser, sprich Computer starten und irgendein Programm benutzen und fertig. Von den zugrundeliegenden Protokollen, der Hardware etc. versteht der gewöhnliche Täter wenig bis nichts. Verschwiegenheit gehört ausserdem in die Welt der Geheimdienste und nicht in die Welt des Strafrechts. Nur wenn an einem Ermittlungsergebnis keine Zweifel bestehen, wird die hoheitliche Strafgewalt des Staats von einem Täter auch akzeptiert. Nur auf diesem Weg herrscht Rechtsfrieden.
Zurück zu Hashwerten als Basis einer Verurteilung: Im Urteil 6B_623/2019 des Bundesgerichts vom 5. Februar 2020 wurde entschieden, dass alleine gestützt auf einen Hashwert keine Verurteilung erfolgen dürfe. “Die aktenkundigen Informationen zu den in Deutschland durchgeführten Ermittlungen sind nicht sehr aussagekräftig. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Kurzbrief von Interpol Wiesbaden sowie Angaben zu “Userhashs”, “Filehashs” und IP-Adressen.”, so das Bundesgericht (E. 1.4, erster Absatz). Und: “Die Verurteilung basiert wesentlich auf dem “Filehash” sowie der IP-Adresse.”, so die Erwägung 1.4, zweiter Absatz. In Kombination mit in den im Strafbefehlsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren erfolgten Fehlern beim Abschreiben des Filehashes lag dann bei einer solchen Verurteilung sogar Willkür vor: “Eine Verurteilung einzig gestützt auf eine Zahlen- und Buchstabenkombination, welche erstelltermassen mehrfach falsch kopiert wurde, ist willkürlich.”
Die Beweislage bei digital-forensischen Verfahren – egal ob man als Anwalt eine beschuldigte Person verteidigt oder für die Privatklägerschaft als Kläger auftritt – ist stets komplex und setzt einschlägiges Know-how voraus. Gelangen Sie als beschuldigte Person, als betroffene Privatperson oder als Unternehmung am besten an einen versierten Anwalt.
Weitere zentrale Fragen zum Vorgehen bei digital-forensischen Untersuchungen wurde in diesem Fall zwar aufgeworfen, mussten aber vom Bundesgericht in BGer 6B_623/2019 nicht geklärt werden. Die Sache hatte sich für das höchste Schweizer Gericht schon vorher mit erfolgreicher Willkürrüge erledigt. Cybercrime-Fälle werden in Zukunft sicher nicht weniger. Es wird deshalb kaum lange dauern, bis sich das Bundesgericht mit ähnlichen Konstellationen beschäftigen und die noch offenen Fragen klären muss.
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